Smart Home

12.09.2023
Manuela Talenta

Dank Technik länger zu Hause bleiben

Möglichst lang selbst bestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen: Das wünschen sich wohl alle Menschen. Darum wird intensiv an intelligenten Systemen geforscht, die den häuslichen Alltag erleichtern, die auf unser Wohlbefinden achten und die uns bei gesundheitlichen Problemen hilfreich zur Seite stehen.

Das iHomeLab ist ein intelligentes Gebäude auf dem Campus der Hochschule Luzern. Das Forschungszentrum für Gebäudeintelligenz wurde 2008 gegründet und befasst sich – wie der Name schon sagt – mit intelligentem Wohnen und Gebäudeautomation. Ein Fokus der Forschungs- und Entwicklungsarbeit liegt auf Lösungen, die das Leben älterer Menschen erleichtern und es ihnen ermöglichen sollen, möglichst lang und weitgehend selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben. Andrew Paice leitet das iHomeLab seit fünf Jahren. Bei einem Rundgang zeigt der 54-Jährige auf eine lebensgrosse Puppe, die mitten im Gebäude steht. «Sie heisst Anna Limacher, ist um die 80 Jahre alt und wohnt hier. Sie lebt allein, denn ihr Mann ist bereits verstorben, und ihr Sohn Thomas hat eine eigene Familie.» Anna ist das Vorzeigeobjekt, wenn Andrew Paice erzählt, woran im iHomeLab gearbeitet wird.

 

Das sprechende Tablet
Jede Menge intelligenter Helferlein unterstützen Anna Limacher dabei, auch als Seniorin ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu führen. Eines ihrer Gadgets trägt sogar fast denselben Namen: eine Tablet-Lösung namens Anne. Andrew Paice: «Sie ist ein für ältere Menschen programmiertes Tablet mit Sprachfunktion, das in den Niederlanden bereits auf dem Markt ist. Möchte Anna Limacher zum Beispiel mit ihrem Sohn sprechen, kann sie ihre Beinahe-Namensvetterin ganz einfach darum bitten, ihn anzurufen, woraufhin ein Videocall startet.» Aber das Assistenzsystem erinnert die Seniorin auch daran, dass es Zeit für ihre Blutdruckmedikamente ist und dass sie in zwei Stunden einen Arzttermin hat.

 

Der intelligente Rollator
Die Seniorin macht sich gleich auf den Weg in die Praxis. Weil sie nicht mehr so gut zu Fuss ist, nutzt sie einen Elektro-Rollator als Gehilfe. Er verfügt über ein eingebautes Navigationssystem, das nicht nur den Weg weist, sondern auch anzeigt, wo sie eine Steigung oder ein Gefälle bewältigen muss. Intelligente Motoren in den Rädern sorgen dafür, dass sie weder zu schnell noch zu langsam unterwegs ist. Sie passen die Leistung Annas Gang und dem Gelände an, durch das sie sich bewegt. Sensoren in den Griffen des Gefährts reagieren auf Mikrobewegungen von Annas Händen und erkennen so, in welche Richtung sie sich wenden wird. «Das ermöglicht ihr ein sicheres und stabiles Gehen», sagt der Leiter des iHomeLabs. Auf dem Markt ist ein Rollator, wie Anna ihn besitzt, aber nicht erhältlich. «Er hat sich in der Herstellung als zu teuer herausgestellt. Doch es gibt ähnliche Projekte, die sich in verschiedenen Phasen der Entwicklung befinden.»

 

Das hilfreiche Wearable
Das Gespräch mit dem Arzt dauert nicht allzu lang, denn er ist bereits über vieles informiert. Anna trägt nämlich ein Fitness-Armband, das ständig ihre Vitalwerte aufzeichnet. Diese Daten stellt sie ihrem Arzt zur Verfügung, sodass dieser sich ein umfassendes Bild ihres körperlichen Zustands machen kann. Er erkennt, dass Annas Blutdruck in den letzten paar Wochen etwas zu niedrig war, und stellt daher ihre Medikation neu ein.

Aufmerksame Sensoren
Der Besuch bei ihrem Arzt hat Anna ermüdet. Als sie wieder zuhause ist, möchte sie sich deshalb kurz hinlegen. Doch auf dem Weg ins Schlafzimmer stürzt sie unglücklich, und sie bleibt bewusstlos liegen. Andrew Paice: «Ich kenne mehrere Fälle, bei denen gestürzte Seniorinnen und Senioren stundenlang liegenblieben, bis sie endlich entdeckt wurden.» Bei Anna ist das zum Glück nicht der Fall, denn ihr Zuhause verfügt über eine Smarthome-Erweiterung namens AAL4All. Das Pflegeüberwachungssystem besteht aus mehreren Sensoren, einem Sprachagenten und einer App, die Thomas auf seinem Smartphone installiert hat. Die Sensoren sind an verschiedenen Orten platziert und erfassen, wie sich Anna durch die Wohnung bewegt. Der Sprachagent hat durch Nachfragen bei der Seniorin gelernt, wie sie sich normalerweise verhält. Ihren Sturz erkennt der Agent als Anomalie. Deshalb wird er aktiv und fragt Anna, ob alles in Ordnung ist. Doch er erhält keine Antwort und versucht es erneut. Weil er abermals keine Antwort erhält, schickt er eine Warnung an Thomas’ Handy. Annas Sohn reagiert rasch und verständigt den Notruf. «Das Projekt befindet sich zurzeit noch in der Testphase mit Endnutzern», sagt Andrew Paice. «Aber ähnliche Anwendungen wie Sturzsensoren oder Kameras mit integrierter Sprachaktivierung sind bereits auf dem Markt erhältlich.»

 

Der clevere Smartmeter
Das Projekt «CleverGuard» funktioniert nach einem vergleichbaren Prinzip der Erkennung von Verhaltensmustern – allerdings auf einer anderen Basis. Andrew Paice: «Manche Angebote überwachen die Bewohnerinnen und Bewohner direkt mit Kameras oder Mikrofonen und lernen so deren alltägliche Bewegungs- und Verhaltensmuster kennen. Das will aber nicht jeder.» Deshalb basiert «CleverGuard» nicht auf der Überwachung der Menschen selbst, sondern auf der Überwachung ihres Energieverbrauchs. Das funktioniert mit einem im Stromverteilkasten eingebauten Smartmeter. Er arbeitet mit der Non-Intrusive-Load-Monitoring-Technologie (NILM), deren Kernidee auf der Annahme fusst, dass jedes Gerät ein ganz individuelles Signal im Verteilnetz hinterlässt. Dank Algorithmen zur Mustererkennung und mit maschinellen Lernverfahren erkennt der Smartmeter zum Beispiel einen Herd und weiss, zu welchen Zeiten er üblicherweise wie lang eingeschaltet ist. Läuft er länger, macht sich dies durch eine Laständerung bemerkbar. Das eingebaute «CleverGuard»-Benachrichtigungsmodul erkennt diese Veränderung und kann nachfragen oder einen Alarm auslösen. Das Gerät wird derzeit in Feldversuchen getestet.

 

Physiotherapie, die Spass macht
Aber kehren wir zur iHomeLab-Bewohnerin Anna Limacher zurück. Bei ihrem Sturz hat sie sich die Schulter verletzt, und sie muss sich einer Operation mit anschliessender Physiotherapie unterziehen. Diese startet bereits im Spital. Sobald Anna aber wieder nach Hause darf, nimmt sie die Therapie mit, und zwar in Form einer VR-Brille. Das Projekt trägt den Namen «RecoveryFun» und wird ab Anfang Juni erstmals mit künftigen Nutzerinnen und Nutzern in einer Vorabversion unter professioneller Anleitung getestet. In Annas VR-Brille ist eine Reihe von Exergames integriert, die ihre Physiotherapeutin speziell für die Rehabilitation zusammengestellt hat. Zusätzlich trägt Anna ein Sensorarmband am Handgelenk, das ihre Biosignale misst. Andrew Paice: «Anna muss zum Beispiel in einem VR-Spiel ein kleines Tier ergreifen und exakt durch ein Labyrinth führen, ohne mit verschiedenen mobilen Hindernissen zu kollidieren.» Die Ausführung des Spiels wird zusammen mit Annas Biosignalen an eine Plattform übermittelt und mittels maschinellen Lernens ausgewertet. Die Physiotherapeutin kann auf die Resultate zugreifen und erhält so Aufschluss darüber, ob Anna die Übung auch wirklich absolviert hat und wie sich die Beweglichkeit ihrer verletzten Schulter entwickelt. Sie kann auch via Videoverbindung direkt mit Anna eine virtuelle Therapiesitzung abhalten. Ebenfalls zum Toolkit gehört eine Smartphone-App, die es Annas Sohn erlaubt, am Rehabilitationsfortschritt seiner Mutter teilzuhaben und sie für das weitere Training zu motivieren.

 

Der Schutz von Daten
Anwendungen wie diese sorgen dafür, dass Anna auch mit ihrem stattlichen Alter selbstständig leben kann und bei einem Notfall möglichst rasch Hilfe erhält. Aber sie produzieren auch eine Unmenge an personenbezogenen Daten. Wie können diese geschützt werden? Eine Frage, die man sich auch im iHomeLab stellt. «Die Daten unserer Anna werden auf Servern im iHomeLab gespeichert und in eine eigene Cloud hochgeladen. Aber wie verhält es sich in einer echten Situation, bei einer echten Anna, die all diese Technologien im echten Leben nutzt? Das werden wir mit Argusaugen verfolgen. Es wird eine Herausforderung sein, solche Daten vor einer Zweckentfremdung zu schützen.» Deshalb tauscht sich der Leiter des iHomeLabs mit Datenschutz-Fachleuten aus. Kürzlich sprach er zum Beispiel mit den Gründern eines Start-ups, das im Bereich der Übertragung medizinischer Daten über Systeme des Internets of Things (IoT) tätig ist. «Ihr neu entwickeltes System funktioniert so: Der Arzt gibt dem Patienten ein medizinisches Gerät mit nach Hause, das für die Behandlung relevante Daten verschlüsselt aufzeichnet. Sie können ausschliesslich vom Arzt entschlüsselt und erst in einem gesicherten IT-System wieder dem Patienten zugeordnet werden.»


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