Gebäudesysteme

10.10.2023
Marcel Schöb

Erfahrungen aus dem Anlagenbau

Die Anforderungen im Anlagenbau werden immer komplexer. Gleichzeitig steigt der Preis- und Termindruck auf die Projekte wie auch die planenden und ausführenden Unternehmer. Alle stehen vor grossen Herausforderungen. ET hat ein paar typische und teilwiese fast alltägliche Situationen aus der Praxis herausgepickt.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gelten Lager nur als Kostenfaktor. Als Folge davon befinden sich die Lager fast ausnahmslos auf der Strasse, Schiene oder auf dem Meer. Solange die Rohstoff- und Produktionsketten ohne Unterbruch funktionieren, kann Kapital gespart und somit der Gewinn optimiert werden. Kommt jedoch die Kette ins Stocken, muss mit grösseren Ausfällen gerechnet werden. Das «Anfahren» der ganzen Kette dauert Monate und funktioniert auch nur, wenn nicht erneute Störungen den «Prozess» wieder zusammenbrechen lassen.

Daher haben verschiedene Automationsunternehmen ihr Lager mit dem projektspezifischen Material (PCs, Netzwerk- und SPS-Komponenten) auf den doppelten Bestand (oder gar noch mehr) erhöht. Dank dieses erhöhten Lagerbestands ist es bei diesen Unternehmen in den meisten Fällen möglich gewesen, sämtliche Projekte trotz Mangellage auf dem Markt ohne materialbedingter Verzögerungen abzuwickeln. Im Moment deutet nichts darauf hin, dass sich die Situation merklich verbessern würde.

 
 

Box Mover

Sind Sie mit dem Begriff «Box Mover» schon konfrontiert worden? Oder haben Sie gar die Kistenverschieber schon im realen Leben angetroffen? Die Wahrscheinlichkeit ist gross, falls Sie gerade einen Neu- oder Umbau begleitet haben, sei es als Kunde, Planer oder eben als Automatisierer. Grundsätzlich geht es um die Optimierung der Regel: «Und ist der Handel noch so klein, bringt er mehr als Arbeit ein». Als Kunde oder Planer wenden sie sich für lhre Problemstellung an einen namhaften Lieferanten, der über Fachspezialisten und eine Serviceabteilung verfügt. Nach Klärung des Leistungsumfangs erfolgt die Bestellung und kurz darauf trifft die Auftragsbestätigung ein. Mit deutlicher Verspätung trudelt das Datenblatt in englischer Sprache ein. Englisch? Eine kleine geistige Warnlampe geht an. Die Bestellung erfolgte doch bei einer Schweizer Firma. Nichtsdestotrotz wird nach diesem Datenblatt das Elektroschema gezeichnet und der Schaltschrank gebaut.

Einige Zeit später steht auf der Anlage eine Kiste, der Absender ist ein internationaler Konzern. Aufgrund des Inhalts kann sogar herausgefunden werden, welcher «Schweizer Lieferant» dafür zuständig ist. lm Rahmen der Inbetriebsetzung und beim Eintreffen des Servicepersonals wird deutlich, dass das gelieferte Gerät (gelegentlich ist es eine komplette Maschine) nie beim Lieferanten in der Schweiz im Wareneingang war, sondern direkt aus dem Ausland (z.B. China) auf die Anlage spediert wurde. Der Servicetechniker kennt das Produkt nicht, und entsprechend anstrengend gestaltet sich die Inbetriebsetzung — einerseits, weil offene Fragen generell per Handy geklärt werden müssen, andererseits, weil dummerweise auch noch das falsche Datenblatt geliefert wurde.

Die deshalb notwendigen Anpassungen des Schaltschranks und der Installationen werden durch den Planer oder den Automatisierer veranlasst, und das Gerät kann zu guter Letzt doch noch seine Funktion aufnehmen. Weder von den Fachspezialisten noch der angepriesenen Serviceabteilung ist im Rahmen der Inbetriebsetzung innert nützlicher Frist Unterstützung zu erwarten.

Box Mover sind also Schweizer Firmen, die irgendwo auf der Welt Produkte möglichst billig einkaufen und direkt (und ohne Kontakt mit dem Liefergut) auf die Anlage senden lassen. Der Aufwand während der Inbetriebsetzung wird anderen überlassen.

 

Vertrauen

Vertrauen ist ein wichtiges Element in der Firmenkultur eines Unternehmens. Allen Partnern begegnen die Mitarbeiter mit Vertrauen auf eine gute Zusammenarbeit und auf gegenseitig faire Behandlung. Was nach aussen gilt, prägt ein Unternehmen auch nach innen. Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin hat beim Start in der Firma eine Gutschrift auf dem persönlichen Vertrauenskonto.

Vertrauen kann man erhalten oder schenken. Meist muss man es sich erarbeiten, und manchmal erhält man als Firma oder als Individuum dieses Geschenk vom Gegenüber. Bekannterweise braucht es sehr wenig, dass die sorgfältig aufgebaute Beziehung in Frage gestellt wird. Als Folge davon ist jeder Einzelne in einem Unternehmen permanent gefordert, das geschenkte Vertrauen sorgfältig zu pflegen und zu bestätigen.

Vertrauen ist auch deshalb ein anspruchsvolles Thema, weil es auch um Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten geht. Gesundes Selbstvertrauen kann oft nur entstehen, wenn von der Umgebung (auch von Kunden) Unterstützung erlebt werden kann. Wenn Vertrauen da ist, erübrigt sich Kontrolle und Überwachung, das Delegieren von Aufgaben wird möglich, man muss nicht alles selbst erledigen, man darf helfen und Hilfe annehmen.

 

Realität während der Inbetriebsetzung

Beginnt die Inbetriebsetzung, wird alles, was vorher gedacht, geplant, beschrieben, hergestellt, eingekauft, montiert und programmiert wurde, auf seine Praxistauglichkeit getestet. Neben dem reinen Signaltest geht es darum, jedes Gerät richtig einzustellen und auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Dies beinhaltet die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Der Programmierer und Lieferant der Steuer- und Leittechnik nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, weil sämtliche Signale bei ihm zusammenlaufen. Grundsätzlich ist der Automatisierer aber lediglich für die Software zuständig und – falls er das Elektroengineering (Schema) gemacht hat – für die korrekte Auslegung der Schaltanlagen.

 

Für eine erfolgreiche und effiziente Inbetriebsetzung müssten alle Lieferanten, Elektriker und Schaltanlagenbauer vor Ort sein. Dies ist schlicht nicht realistisch. So stellt sich in der Praxis die Frage, wer diese vielseitige und anspruchsvolle Arbeit übernehmen kann? Dazu gehören das Einschalten der Abgänge in der Hauptverteilung (dazu braucht es allenfalls eine Schaltberechtigung), das Einstellen der Schutzgeräte, der analogen und digitalen Messtechnik, die Inbetriebnahme von Antrieben und Schiebern oder von kompletten Maschinen. Um die Frequenzumformer einzustellen, müssen die Werte für Anfahr- und Bremsrampe, die minimale und maximale Drehzahl und das zulässige Drehmoment bekannt sein. In der Regel fehlen diese Informationen. Es braucht etwas Erfahrung, damit sinnvolle Werte eingestellt werden können. Was die Techniker vor Ort auf jeden Fall brauchen, sind Werkzeugkoffer für Einstellungen und Anpassungen und Internetzugang, um fehlende Anleitungen herunterzuladen, denn in der Praxis werden die meisten Geräte ohne Bedienungsanleitung geliefert. Zu guter Letzt braucht es dann verfahrenstechnisches Verständnis, um entscheiden zu können, was geschaltet werden kann und darf. Für die meisten Sensoren und Aktoren braucht es seit einiger Zeit Konfigurationssoftware und das richtige Schnittstellenkabel. Wer aber ist dafür zuständig? Ganz nebenbei und insbesondere, wenn ein Schaden entsteht, stellt sich die Frage nach der Verantwortung während der Inbetriebnahme.

Mit der unvollständigen Auflistung solI dargestellt werden, was während einer Inbetriebsetzung an Wissen und Können zusammenkommen muss: Elektrotechnik von Schwach- bis Starkstrom, Messtechnik, Pneumatik, Software, Hardware, Bussysteme auf verschiedenen Ebenen und nicht zuletzt Verständnis für die Verfahrenstechnik. Bei grossen Umbauten oder Neubauten werden die Aufgaben in der Regel auf die verschiedenen Fachplaner aufgeteilt. Bei kleineren Anlagenerweiterungen ist der Automationsingenieur meist einsam unterwegs.

Die Zeit, die für die Inbetriebnahme benötigt wird, hängt entscheidend von den Vorarbeiten ab: Von der korrekten Lieferung der Geräte, der Qualität der Schaltanlagen, der Arbeit des Elektrikers, usw. All dies sind Faktoren, die der Automationslieferant nicht beeinflussen kann. Um nicht endlos auf die verschiedenen Akteure warten zu müssen (die Anlage muss ja in Betrieb), decken die Automationslieferanten die meisten der vor Ort anfallenden Aufgaben ab, obwohl sie nicht zu deren Leistungsumfang gehören. Daher ist es wichtig, dass von Seiten der Planung ein entsprechender Ablauf definiert wird, damit die benötigen Lieferanten, Unternehmer, etc. vor Ort sind und ihren Teil dazu beitragen können. Es kann nicht angehen, dass einer ein Gerät liefert und allenfalls auch noch montiert und anschliesst und die Anlage ohne spätere Inbetriebnahme verlässt.

Eine Inbetriebsetzung verfahrenstechnischer Anlagen setzt breites Wissen und handwerkliches Geschick voraus. Die Ansprüche sind so vielfaltig, dass auch bei renommierten Firmen nicht alle in der Lage sind, die Aufgaben vollständig abzudecken. Die immer komplexer werdende Arbeit zur Erfüllung der Betriebssicherheit ist nur zu einem kleinen Teil bezahlt. Weil sie in hohem Mass fremdbestimmt ist, kann sie nicht ausgeschrieben werden. Inbetriebsetzungen sind grundsätzlich spannende, interessante und vielseitige Aufgaben und sollen fair entschädigt sein.

 

Berufsstolz

Wie beurteilen Sie ein Restaurant? Sicher erstens nach der Qualität der Speisen und Zweitens nach der Freundlichkeit und Leistung des Service. In einem guten Lokal fragt auch der Küchenchef seine Gäste, ob es geschmeckt hat. Selbstredend wird er das nicht machen, wenn er nicht stolz auf sein Produkt wäre. Übertragen wir dieses Bild auf den Bau einer verfahrenstechnischen Anlage, so ist meist der Automationslieferant als Letzter in der Kette zwangsläufig in der Rolle des Gastes, der alle Leistungen beurteilen kann. Was wir dabei vermehrt feststellen, ist eine Abnahme der Qualität der Arbeiten und Materiallieferungen. Suchen wir nach möglichen Ursachen, ist einerseits «Materialoptimierung» bis zur Funktionsfähigkeit und andererseits ein enormer Zeitdruck in der Montage auszumachen. Beides rührt daher, dass mit immer weniger Ressourcen immer mehr Gewinn erzielt werden muss. Dies gilt insbesondere bei KMU, die durch börsenkotierte Unternehmen aufgekauft wurden. Die Zielformulierung für die Monteure heisst Geschwindigkeit, nicht gute Arbeit. Stolz kann eigentlich kaum mehr jemand sein – die Handwerker nicht und die Firmen nicht.


Um dem immer deutlicher werdenden Fachkräftemangel zu begegnen, werden in der Berufsbildung die Anforderungen gesenkt. Man verzichtet auf Prüfungen und reduziert die Ansprüche. Das Resultat zeigt sich schon heute: auf den Baustellen mehren sich Hilfs- statt Fachkräfte. Diese Entwicklung ist für den Industriestandort fatal. Wird gepfuscht, fehlt der Stolz, ohne Stolz fehlt die Freude an der Arbeit, und so kann kein qualitativ hochwertiges Produkt entstehen. Machen wir so weiter, wird es bald nicht mehr nur bei Küchengeraten «Designed in Sweden» statt «in Switzerland» heissen.

Alle Projektbeteiligten sind auf allen Stufen von der Planung bis zur Umsetzung gefordert, um dem Kunden am Schluss mit Stolz ein gelungenes Werk übergeben zu können.

 

Terminplanung mit Schwarz-Peter-Spiel

In den letzten Jahren wurden in verschiedenen Projekten (z.B. Energieversorgung in Rechenzentren), welche von Generalunternehmern umgesetzt wurden, grosse «Mängel» festgestellt. Dabei wurde schmerzlich festgehalten, dass Terminpläne nicht nur an Lieferfristen, Personalengpässen oder Corona-Ausfallen scheitern können. Neuerdings scheitern sie auch an vertraglich vereinbarter Unehrlichkeit aller Parteien.

Es beginnt mit einer Ausschreibung, welche voll von Definitionen von kommerziellen und organisatorischen Vorgaben ist. Pflichtenheft, Funktionsbeschreibung, Testprogramme, Testprotokolle, fast tägliche Sitzungen und natürlich der Endtermin sind definiert. Der Lieferumfang und die Schnittstellen sind im Gegensatz dazu nur grob beschrieben. Die Komplexität der Aufgabe widerspiegelt sich in keinem Dokument. Vermutlich ist zu diesem Zeitpunkt bereits den meisten bewusst, dass eine termingerechte Umsetzung nicht möglich sein wird. Aus diesem Grund wird mit entsprechend hohen Konventionalstrafen für Lieferverzögerungen gedroht.

 

Wer den Auftrag will, muss vor der Vergabe den Terminen zustimmen und damit die Strafen akzeptieren; dies im Wissen, dass die Termine nicht realistisch sind. Nur wird das nicht thematisiert, sonst ist der Auftrag weg. Die vom Generalunternehmer eingesetzten Planungsbüros haben ebenso Strafen auf Terminversäumnissen in ihren Verträgen und drängen von der Startsitzung an auf formale Fortschritte im Projekt. Technische Entscheidungen rücken in den Hintergrund und verkürzen die schon knappe Zeit für die praktische Umsetzung weiter. Allen technisch versierten Teilnehmern in den Meetings ist vom Start des Projektes an klar, dass die geplanten Meilensteine nicht eingehalten werden können. Folglich wird sofort «schwarzer Peter» gespielt. Verloren hat das Spiel, wer als erster zugeben muss, den Terminplan nicht halten zu können und damit die Konventionalstrafe bezahlen muss.


Es geht also nicht mehr darum, gemeinsam den schnellsten und besten Weg für die Umsetzung zu finden, sondern darauf zu setzen, nicht der Erste zu sein, der ehrlich sein muss. Wenn man dann im Interesse des Gesamtprojektes einem «Partner» helfen konnte, muss das gut überlegt sein. lm dümmsten Fall verhilft man dem anderen, den Termin zu halten und steigert damit die Chance, selbst den «schwarzen Peter» in den Händen zu haben. Trotz dieser Hürden geben viele Unternehmen auch in diesen Projekten ihr Bestes, um technisch einwandfreie Lösungen termingerecht umzusetzen. Dieses Beispiel zeigt uns: mit viel Papier und Strafandrohungen kann weder Termin noch Qualität gesichert werden. Die Zeit und das Vertrauen, das auf diesem Weg verloren geht, lohnen sich für keinen der Projektteilnehmer.

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