Benedikt Vogel, im Auftrag des BFE / PW
Gebäude frei von Treibhausgasen
Wie können klimaschädliche Emissionen aus Erstellung und Betrieb von Gebäuden möglichst auf netto null gesenkt werden? Diese Frage stand im Zentrum des diesjährigen brenet Status-Seminars. Eine wichtige Erkenntnis: Um das ambitionierte Netto-Null-Ziel zu erreichen, braucht es neben technischen Innovationen auch Verhaltensänderungen.
2001 haben sich Institute von Fachhochschulen und unabhängige private Organisationen zum Nationalen Kompetenznetzwerk im Bereich Geba?udetechnik und Erneuerbare Energien (brenet) zusammengeschlossen. Das gemeinsame Ziel des Netzwerks besteht darin, nachhaltige Lösungen für den Schweizer Gebäudepark zu erforschen. Das 23. brenet Status-Seminar Ende August in Brugg-Windisch bot rund 100 Expertinnen und Experten aus der Energieforschung im Gebäudebereich eine Plattform zum Erfahrungsaustausch. Die Veranstaltung wurde vom Bundesamt für Energie unterstützt.
brenet-Präsidentin Barbara Sintzel setzte in ihrer Begrüssung den thematischen Fokus der Fachtagung: "Immer wichtiger werden die grauen Treibhausgasemissionen, die bei der Herstellung von Baustoffen, Bauteilen, technischen Komponenten und Gebäuden entstehen", sagte Sintzel, die das Institut Nachhaltigkeit und Energie am Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz leitet. Für den Themenschwerpunkt gibt es gute Gründe: Neue Gebäude verursachen den Hauptteil ihrer Treibhausgasemissionen nicht bei der Bereitstellung von Heizenergie und Warmwasser, sondern bei der Erstellung (vgl. erste Grafik). Gerade bei der Herstellung der Baustoffe fallen grosse Mengen von CO2 und anderen Treibhausgasen an.
SIA definiert Klimapfad
Die Architektin Katrin Pfäffli zeigte in ihrem Keynote-Referat auf, dass die Gebäudeerstellung für mehr als 80 % der Treibhausgasemissionen bei zeitgemässen Neubauten verantwortlich ist. "Wenn wir Treibhausgase vermeiden wollen, müssen wir hauptsächlich bei der Erstellung ansetzen", folgerte Pfäffli. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) hat jüngst seine Vorgaben zum Klimaschutz angepasst und dabei die Massnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen über den ganzen Lebenszyklus von Gebäuden hinweg geschärft. Der bisherige 'Effizienzpfad' wird abgelöst von einen 'Klimapfad'. Die neue Norm SIA 390/1 versteht sich als Zielvorgabe auf dem Weg zu Netto-Null-Gebäuden.
Als Zielwert für heute neu erstellte Wohnbauten formuliert der Klimapfad maximale Treibhausgasemissionen von 11 kg/m2 für Erstellung und Betrieb. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 verursachte ein Neubau gemäss Expertenschätzung in der Erstellung rund 12 kg Treibhausgasemissionen pro Quadratmeter und Jahr (bezogen auf eine angenommene Lebensdauer von 60 Jahren), aber nur 4 kg im Betrieb. Nur ein geringer Teil der jährlichen Gesamtemissionen von 16 kg/m2 entstehen somit durch Heizung, Warmwasseraufbereitung, Klimatisierung und andere Gebäudetechnik. Der Wert von 11 kg/m2 («Zielwert B» gemäss Norm) sei anspruchsvoll, aber mit heute verfügbaren Technologien und Konzepten umsetzbar, betonte Pfäffli und plädierte dafür, noch einen Schritt weiter zu gehen und jetzt schon den ambitionierten Wert von 7 kg/m2 ins Auge zu fassen, der in der Norm als «Zielwert A» definiert wurde.
Baustoffe wiederverwenden
Wenn es um klimafreundliches Bauen geht, kommt den Minergie-Baustandards eine herausragende Bedeutung zu. 2023 hat der Verein seinen Anforderungskatalog an zukunftsfähige Gebäude unter anderem um Maximalwerte für Treibhausgasemissionen in der Erstellung, also für Errichtung, Ersatz und Rückbau ergänzt. Daher ist es ab 2023 nicht mehr möglich, Gebäude mit zu viel Erstellungsemissionen nach Minergie zu zertifizieren. Die von Minergie gesetzte Zielwerte liegen laut Sabine von Stockar, Leiterin Bildung & Entwicklung Minergie, aktuell über den SIA-Werten, sollen in den nächsten Jahren aber kontinuierlich verschärft werden. "Wir zertifizieren jedes Jahr rund 2000 Gebäude nach dem Basis Baustandard Minergie und müssen vor diesem Hintergrund die Werte so festlegen, dass sie für ambitionierte Bauherrschaften mit vertretbarem Aufwand erfüllbar sind", sagte von Stockar am Rande des Status-Seminars. Vergleichbar tief wie die neuen SIA-Vorgaben liegen heute schon die Grenzwerte für Gebäude, die nach Minergie-Eco zertifiziert werden. Bauherrschaften, die heute schon näher an Netto-Null gehen wollen, müssen sich somit an Minergie- Eco orientieren, so von Stockar.
Ein Schlüssel zur Senkung der Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich liegt bei den Baumaterialien – sei es durch die Wiederverwendung von Bauteilen aus Abbruchobjekten, sei es durch die Wahl klimafreundlicher Materialien für Neubauten und Sanierungen. Lionel Rinquet (Genfer Fachhochschule HEPIA) untersucht in einem Forschungsprojekt, über das er am Status-Seminar informierte, vor allem logistische Aspekte rund um die Wiederverwendung von Baustoffen. Gemeinden wie Meyrin sind in dem Bereich heute schon sehr engagiert. Gemäss Rinquet ist es eine Frage der Zeit, bis im Kanton Genf die Wiederverwendung von Bauteilen verpflichtend sein wird. Mija Frossard (Waadtländer Fachhochschule HEIG-VD) erforscht die Treibhausgasemissionen von 92 Bauteilen über den Lebenszyklus hinweg. Fazit: In den meisten Fällen ist die Wiederverwendung vorteilhaft. Klimaschädliche Emissionen können durchschnittlich um 83 % gesenkt werden. Claudine Karlen (Intep - Integrale Planung GmbH) warnte indes vor überzogenen Erwartungen. Sie berichtete in Brugg-Windisch über eine Modellrechnung am Beispiel der stark wachsenden Stadt Baden. Diese ergab, dass durch Wiederverwendung von Baumaterialien bis im Jahr 2050 lediglich ein kleiner einstelliger Prozentsatz der durch Neubauten erzeugten Treibhausgasemissionen vermieden werden können. Ein wichtiger Grund: Allein das prognostizierte Neubauvolumen übersteigt die potenziell verfügbar werdenden wiederverwendbaren Materialien.
Viele Ansatzpunkte
Der Weg zu einem klimafreundlichen Schweizer Gebäudepark ist lang. Vielfältig sind die Ansätze, um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, wie die am Status-Seminar vorgestellten Forschungsprojekte vor Augen führten. Mehrere Projekte befassen sich mit Konzepten der Kreislaufwirtschaft. Leidy Guante Henriquez (Tessiner Fachhochschule SUPSI) berichtete über einen '4RnD Circular construction hub', der die Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor mit angewandter Forschung, Weiterbildung und Kommunikation stärken will. Das gleiche Ziel mit anderen Mitteln verfolgt die Fachhochschule Nordwestschweiz: Sie stellt Planern und Architekten ab Herbst 2024 mit der Viride-Plattform (www.viride.ch) ein BIM-kompatibles Werkzeug zur Verfügung, mit dem sie einfach errechnen können, welche Treibhausgasemissionen durch Neubauten und Sanierungen hervorgerufen werden.
Weitere Forschungsprojekte, die am Status-Seminar vorgestellt wurden, befassen sich mit Begrünung und weiteren Massnahmen, um die Belastung von Menschen an Hitzetagen zu mindern. Weitere Themen waren – unter anderem – die Ertüchtigung älterer Fenster (anstelle deren Entsorgung), die Effizienzsteigerung von Kühlmöbeln in Supermärkten, die 'kluge' Steuerung von Elektrogeräten mit SmartGridready-Signal, der Einfluss der Klimaerwärmung auf den Be- und Entfeuchtungsbedarf in Gebäuden, die Kombination von Fernwärmenetzen mit individuellen Wärmepumpen, oder die Erhöhung der Modernisierungsrate durch Abbau von technischen und nicht-technischen Hindernissen.
Nachhaltig leben
Die Erreichung des Netto-Null-Ziels im Gebäudesektor ist nur möglich mit frischen Ideen. Die Forschung im Bereich des nachhaltigen Bauens ist denn auch noch längst nicht am Ziel. Andreas Eckmanns, der beim BFE für das Forschungsprogramm 'Gebäude und Städte' verantwortlich zeichnet, gab am Status-Seminar in Brugg-Windisch einen Ausblick auf die BFE-Energieforschung zu Netto-Null bis 2050 und danach. Er verwies auf das neue Forschungskonzept der Eidgenössischen Energieforschungskommission (CORE) für den Zeitraum 2025 bis 2028. "Der Gebäudepark der Zukunft soll netto null Treibhausgase verursachen", lautet dort die Zielvorgabe.
Damit diese Vision Wirklichkeit wird, muss die Wissenschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit technischen Innovationen und Umsetzungskonzepten ihren Beitrag leisten. Die technische Perspektive genügt allerdings nicht, wie Eckmanns betonte. Er plädierte dafür, Gewohnheiten zu hinterfragen, um die Transformation hin zu einem klimafreundlichen Gebäudepark voranzubringen: "Die Forschung zeigt uns, dass wir mit rein technologischen Massnahmen Netto-Null nicht erreichen werden. Was wir ebenso brauchen, sind neue gesellschaftliche Ansätze und politische Instrumente, um die Menschen dazu zu bewegen, vertraute Pfade zu verlassen und ihr Verhalten zu ändern."
Dokumentation des 23. brenet Status-Seminars unter status-seminar.ch
Auskünfte zu den präsentierten Projekten erteilt Nadège Vetterli (nadege.vetterli@anex.ch), externe Leiterin des BFE-Forschungsprogramms Gebäude und Städte.
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Gebäude und Städte findet man unter bfe.admin.ch/ec-gebaeude
Debatte um negative Emissionen
Im Eröffnungsreferat des Status-Seminar verwies Martin Jakob (TEP Energy) auf die aktuellen Bemühungen, im Rahmen des BFE-Forschungsprojekts «Netto-Null Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich» eine breit akzeptierte Definition von Netto-Null für den Gebäudebereich zu finden. Er und weitere Rednerinnen und Redner betonten, dass zur Erreichung dieses Ziels die nicht vermeidbaren Treibhausgasemissionen durch Negativ-Emissions-Technologien (NET) ausgeglichen werden müssen. Negative Emissionen können zum Beispiel entstehen, wenn CO2 in Baumaterialien dauerhaft gebunden wird und diese im Gebäude verbaut werden. Aktuell gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten, welche Methoden zur CO2-Entnahme und -Speicherung als negative Emissionen gelten und unter welchen Bedingungen diese angerechnet werden dürfen. Martin Jakob betonte in seinem Referat u.a. die Wichtigkeit des Zeitpunkts, wann Emissionen anfallen und wann negative Emissionen erfolgen.
Sauber! Wie sauber?
Zur wissenschaftlichen Reflexion gehört der Einbezug kritischer Perspektiven. Franz Sprecher (Amt für Hochbauten der Stadt Zürich) berichtete am brenet Status-Seminar über ein Forschungsprojekt, das die Treibhausgasemissionen von leitungsgebundenen Energieträgern, insbesondere von Strom beleuchtet hat. Z.B. arbeitet eine Wärmepumpe dann nachhaltig, wenn sie mit 'sauberem' (d.h. ohne fossile Energieträger erzeugtem) Strom betrieben wird. Bei der Nachhaltigkeits-Berechnung wird gewöhnlich der Schweizer Verbrauchermix zugrunde gelegt. Betrachtet man den gesamten in der Schweiz während eines Jahres verbrauchten Strom, dann ist die Kilowattstunde Strom gemäss KBOB-Liste «Ökobilanzdaten im Baubereich» mit 128 Gramm CO2eq belastet.
Hierbei handelt es sich allerdings um einen Durchschnittswert. Tatsächlich ist der 'CO2-Gehalt' des Stroms im Sommer tiefer und im Winter – wegen des Importanteils – höher. Wärmepumpen laufen vor allem im Winter – und werden dann mit vergleichsweise 'schmutzigem' Strom betrieben. Legt man der Nachhaltigkeits-Berechnung den tatsächlichen Strommix zugrunde (stündliche Bilanzierung), arbeiten Wärmepumpen weniger nachhaltig als wenn man die herkömmliche Berechnung mit Jahres-Strommix anwendet (jährlichen Bilanzierung). Das von Franz Sprecher referierte Forschungsprojekt hat gezeigt, dass die Treibhausgasemissionen bei stündlicher Bilanzierung 30 bis 70 % höher liegen als bei jährlicher Bilanzierung. "Will man die Klimafreundlichkeit von Wärmepumpen beurteilen, muss man also genau hinschauen", sagt Franz Sprecher. "Trotzdem sind Wärmepumpen aus Sicht der Energieeffizienz und des Klimaschutzes gegenüber fossilen Heizungen immer noch klar im Vorteil."