

Rüdiger R. Sellin
Mehr Leistung, neue Anwendungen
Dank PoE wurde die Stromversorgung über Ethernet möglich. Datenkommunikation und Stromversorgung laufen über dieselben Leitungen und senken die Kosten für die lokale Kommunikation – ob Sprache, Daten oder Video, was die Attraktivität von Ethernet als Betriebstechnologie für Grossfirmen und KMUs steigert.
Die Stromversorgung über Ethernet (PoE) wird erstmals im Jahr 2003 im IEEE-Standard 802.3af beschrieben. Der Zufall wollte es wohl so, dass genau in diesem Jahr das zugrunde liegende Ethernet seinen 30. Geburtstag feierte. PoE ist ein wichtiger Teil der Erfolgsgeschichte von Ethernet. PoE definiert ein Verfahren, um netzwerkfähige Geräte über vier- oder achtadrige Ethernet-Kabel mit Strom zu versorgen. Neben den standardisierten und abwärtskompatiblen Varianten existieren einfachere, passive und herstellerspezifische Varianten, die untereinander jedoch meist nicht kompatibel sind; auf diese wird im vorliegenden Beitrag nicht eingegangen.
Vorteile von PoE
Ein wichtiger Vorteil von PoE ist die Einsparung von Stromversorgungskabeln und dem dazu nötigen Installationsaufwand. Auch an schwer zugänglichen Stellen oder in Bereichen, in denen viele Kabel stören würden, kann man diverse Endgeräte dank Ethernet-Verbindung mit Strom versorgen. Die Stromversorgung des Gerätes wird daher nicht mehr separat via Stromkabel und Netzgerät oder mithilfe einer Batterie, sondern via Ethernet sichergestellt. Dabei wird PoE von Netzwerkgeräten genutzt, die wenig Leistung benötigen.
Diese Geräte kommunizieren via Ethernet und beziehen von dort auch gleich die zum Betrieb nötige Energie. Voraussetzung ist, dass an zentraler Stelle (meist im Netzwerkverteiler) neben den Datensignalen auch Gleichstrom in die Datenleitung eingespeist wird. Ein weiterer Vorteil ist die einfachere Realisierung einer zentralen unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV). Auch hier lassen sich Installationskosten einsparen und mit weniger Aufwand die Ausfallsicherheit aller angeschlossenen Geräte erhöhen.
IEEE-Spezifikationen und PoE-Endgeräte
Der erste Standard IEEE 802.3af «DTE Power over MDI» (2003) liess Leistungen von bis zu 12,95 W am Gerät zu. Die Folgeversion IEEE 802.3at (2009) erhöhte die maximale Leistungsabgabe auf 25,5 W und wurde auch «PoE+» genannt. Die bis heute aktuelle Version IEEE 802.3bt (2018) «Power over Ethernet» (auch 4PPoE) übernahm die gängige Bezeichnung und bot nunmehr bis zu 71,3 Watt mit gleichzeitiger Übertragung von Energie über alle vier Leitungspaare und der Erweiterung auf 2.5GBASE-T, 5GBASE-T und 10GBASE-T.
Der Standard unterteilt die beteiligten Geräte grob in zwei Kategorien:
- PSE sind Energieversorger (engl. «Power Sourcing Equipment»)
- PD sind Energieverbraucher (engl. «Powered Devices»).
Beispiele für PSE sind PoE-Switches, PoE-Injektoren und -Repeater (auch PoE-Extender genannt) oder sogar ein Industrie-Computer mit entsprechenden Funktionen. Unter die Kategorie PD fallen WLAN-Zugangspunkte, IP-Telefone, kleine Hubs, IP-Kameras, Touchpanels und Flachbildschirme, LED-Beleuchtungen, POS-Terminals für den Einzelhandel, IoT-Sensoren und -Geräte (IoT: Internet of Things), Mini-Server oder Bluetooth-Sender mit tiefem Strombedarf zur drahtlosen Übertragung von Signalen an mobile Geräte.
Die Versorgungsspannung beträgt konstant 48 V=, die maximale Stromaufnahme der Endgeräte 350 mA (802.3af, Typ 1) bzw. 600 mA (802.3at, Typ 2) im Dauerbetrieb. Kurzzeitig sind beim Einschalten bis zu 400 mA erlaubt. Die maximale Leistungsabgabe beträgt 15,4 Watt. Die maximale Kabellänge zwischen PSE und PD beträgt 100 m. Der 802.3af-Standard setzt voraus, dass für das PD am Ende der Leitung unter Einbezug von Leitungsverlusten eine nutzbare Leistung von 12,95 Watt übrig bleibt, was jedoch nicht immer der Fall ist und bisweilen «graue Theorie» bleibt.
Weitere PoE-Gerätetypen
Neben PSE und PD trifft man oft auf weitere Gerätetypen für PoE:
- PoE-Injektor: Dies ist ein kleines Gerät, mit dem man ein PD an einen normalen LAN-Anschluss anschliessen kann. Es wird über eine normale 230V-Steckdose mit Strom versorgt und speist angeschlossene Endgeräte via Ethernet.
- PoE-Repeater oder PoE-Extender: Will man ein PD über eine Kabellänge von100 m hinaus anschliessen (auch bekannt als «Far Edge»), ist ein PoE-Repeater oder -Extender zu verwenden. Er wird zwischen PSE und PD installiert und kann die erlaubte Kabellänge maximal verdoppeln. Dabei kann das Ethernet-Kabel auf jeder Seite max. 100 m lang sein.
- Industrie-Computer als PoE-PSE: Bei geeigneter Konfiguration lassen sich einige Industrie-Computer als PSE einsetzen. So kann man mehrere Überwachungskameras an einen einzigen Computer anschliessen, der als Netzwerk-Videorekorder (NVR) dient.
Einige Hersteller (meist solche von nicht standardisiertem PoE) schalten mehrere PoE-Extender in Reihe und kommen so auf mit PoE versorgte Leitungslängen von bis zu 400 m. Davon ist wegen der möglichen Leitungserwärmung oder Überlastung und infolgedessen einer Reduktion der Übertragungsgeschwindigkeit klar abzuraten (siehe übernächster Abschnitt).
Mehr Leistung, neue Anwendungen
Zur Energieübertragung im Ethernet-Kabel werden die bei Kabeltypen 10BASE-T und 100BASE-TX häufig freien Adernpaare verwendet. Wenn dies nicht möglich ist (etwa bei Gigabit-Ethernet), werden bisweilen auch signalführende Adern genutzt. Die mittels Übertrager entkoppelten Datenleitungen sind ohne PoE gleichspannungsfrei, sodass die Gleichspannung ein- und ausgekoppelt werden kann, ohne die Datenübertragung zu stören. Der jeweilige Modus wird vom PSE festgelegt, wobei die PDs beide Betriebsarten unterstützen müssen. PDs, die nur eine Betriebsart unterstützen, sind nicht zugelassen.
Die Normenorganisation IEEE hat die übertragbare Versorgungsleistung weiter gesteigert und unterstützt nun auch 10GBASE-T. Der Standard IEEE 802.3bt-2018 (auch 4PPoE genannt) stellt fünf neue Leistungsstufen zur Verfügung. Sie reichen von 40 W (Class 5) über zwei Leitungspaare bis zu 100 W (Class 8+) über alle vier Leitungspaare. Über jedes Adernpaar fliessen bis zu 960 Milliampere. Damit werden neue Anwendungen ermöglicht, zum Beispiel der Betrieb leistungsstarker WLAN-Access- Points oder HD-Überwachungskameras.
Herausforderung Nr. 1: Erwärmung
Höhere Stromstärken und von den Endgeräten (PD) bezogene höhere Leistungen stellen die Verkabelung vor neue Herausforderungen. Denn wenn mehr Strom fliesst, wird durch den Leitungswiderstand auch mehr Wärme erzeugt. Dies ist besonders in engen Kabelkanälen problematisch, weil sich die Wärme dort staut. Im günstigeren Fall altern die Kabel schneller, im schlimmeren gibt es Schwelbrände, die oft lange nicht bemerkt werden.
Wärmere Kabel erhöhen zudem die Dämpfung, was dazu führen kann, dass nicht mehr genug Signal zum Empfänger gelangt und die Datenübertragung stockt oder ganz unterbricht. Somit ist dem Thema Erwärmung und Wärmeabführung bei der Planung einer PoE-tauglichen LAN-Verkabelung unbedingt hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Bei potentiellen Problemen ist die maximale Übertragungslänge zu kürzen und den Temperaturbedingungen anzupassen.
Problemanalyse
Das Problem der Erwärmung wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass vor allem in grösseren Gebäuden wie Bürotowern oder Spitälern in einem Kabelkanal selten nur einzelne Kabel, sondern gleich mehrere Kabelbündel anzutreffen sind. Die Gesamterwärmung ist natürlich lastabhängig und führt besonders in engen Kabelkanälen zu teils kritischen Temperaturanstiegen.
In den relevanten Normentwürfen ISO/IEC TR 29125 und Cenelec EN 50174-99-1 wird beschrieben, mit welchem Temperaturanstieg im Kabelbündel bei Anwendung von PoE zu rechnen ist. Dabei wird zwischen zwei Anteilen unterschieden:
- Erwärmung vom Inneren eines Kabelbündels bis zur Aussenseite
- Erwärmung des gesamten Kabelbündels von der Aussenseite bis zur Umgebungstemperatur
Der zweitgenannte Anteil hängt primär von den Einbaubedingungen des Kabelbündels ab. Diese lassen sich durch Belüftung mit dauernder Wärmeabfuhr positiv beeinflussen.
Der Temperaturanstieg innerhalb des Kabelbündels hängt hingegen ausschliesslich von der Kabelkonstruktion ab. Bei geschirmten Kabeln hilft das Metall des Schirms, die Wärme aus dem Bündelinneren nach aussen zu transportieren. Bei einem typischen U/UTP-Kabel steigt die PoE-bedingte Erwärmung um den Faktor 5, während ein geschirmtes Kabel konstruktionsabhängig einen Faktor von 2,5 bis 3 aufweist. In einem Bündel mit U/UTP-Kabeln entsteht eine etwa doppelt so hohe Temperaturerhöhung wie bei einem vergleichbaren Bündel mit S/FTP-Kabeln.
Kabelverluste berücksichtigen
Bei der Auslegung von Netzwerken für PoE-Anwendungen ist daher der von der Länge der Twisted-Pair-Kabel abhängige Spannungsabfall zu berücksichtigen. Kabel mit grösserem Leitungsquerschnitt sind aufgrund der tieferen Widerstände von Vorteil. Bezeichnungen auf den Netzwerkkabeln mit Codierung der Leiterquerschnitte verraten die gesuchten Werte:
- Cat 5/5e: AWG 24 (das entspricht Ø 0,51 mm bzw. einer Querschnittsfläche von 0,21 mm²)
- Cat 6A/6A: AWG 23 (das entspricht Ø 0,57 mm bzw. einer Querschnittsfläche von 0,26 mm²)
- Cat 7/7A: AWG 22 (das entspricht Ø 0,64 mm bzw. einer Querschnittsfläche von 0,33 mm²)
Hieraus lässt sich der Spannungsabfall unter Berücksichtigung der Hin- und Rückleitung berechnen. Bei Überlegungen zur zulässigen Höhe des Spannungsabfalls kann man sich an den Vorgaben für den Spannungsabfall in Kleinspannungsbeleuchtungsanlagen orientieren. Dort beträgt der Spannungsabfall zwischen dem Transformator und dem in der grössten Entfernung installierten Stromverbraucher etwa 5 % der Nennspannung. Bei am PSE eingespeisten 48 V= verliert man also etwa 2,4 V=. Klar ist: Je kürzer die Übertragungslänge, umso effizienter ist die PoE-Lösung, da die Verluste tiefer sind.
Spannungsbereiche für PoE
Bei einer Gerätefernspeisung via PoE ist es essenziell, dass alle am Ethernet angeschlossenen PoE-Geräte und -Endgeräte den offiziellen IEEE-Standard unterstützen und die Hersteller dies durch gültige Zertifikate nachweisen. Aus Autorensicht ist es dabei sinnvoll, sich die Einhaltung der offiziellen PoE-Standards und Installationsvorschriften der Hersteller von allen involvierten Lieferanten und Installateuren schriftlich bestätigen zu lassen, damit im Fehlerfall die Haftungsfrage schnell(er) beantwortet ist.
Natürlich haben sich auch die Entwickler der IEEE-Standards Gedanken gemacht, wie man Schäden an den angeschlossenen Endgeräten vermeiden kann. Dazu wurden die «Aktivierungsschritte bei PoE» entwickelt, welche die am Endgerät anliegende Spannung schrittweise erhöhen. Erst wenn die ersten drei Schritte erfolgreich bewältigt wurden, wird seitens PSE im vierten und letzten Schritt die für das PD individuell nötige, volle Versorgungsspannung angelegt
Herausforderung Nr. 2: Herstellermix im LAN
In der Praxis besteht in fast allen Gebäuden ein Wirrwarr aus Stromversorgungen, Routern, Switches, Ethernet-Kabeln, Anschlussdosen, Versorgungs- und -Endgeräten für PoE (PSE und PD) etc. Dieses Konstrukt entsteht nur selten innert weniger Wochen oder aus einem Guss wie bei einem Neubau, sondern wird oft über Jahrzehnte gebaut und erweitert. Somit hängen oftmals Geräte aus völlig verschiedenen Generationen an den Ethernet-Kabeln im Gebäude.
Zudem tauchen wie eingangs beschrieben auch proprietäre (d. h. herstellerspezifische) und somit nicht genormte PoE-Endgeräte zum Einsatz. Eine Herausforderung im praktischen Betrieb von PoE-tauglichen Ethernet-Infrastrukturen besteht daher darin, Schäden an nicht PoE-fähigen oder nicht genormten Endgeräten zu vermeiden. Doch wie oder woran bemerkt an deren Existenz im Ethernet-LAN?
Obwohl die Adern 4, 5, 7 und 8 bei10BASE-T und 100BASE-TX nicht verwendet werden, bedeutet das nicht, dass es im LAN z. B. keine Netzwerkkarten gibt, bei denen die entsprechenden Pins Kontakt erhalten. Wenn dort versehentlich oder aus Unwissenheit Gleichspannung für PoE angelegt wird, kann dies zu irreparablen Schäden am Gerät führen. Für der Norm entsprechende Geräte besteht dieses Problem selten bis nie, weil die vier Aktivierungsschritte allfällige Beschädigungeni. d. R. ausschliessen.
Vorsicht beim Steckerziehen
Normalerweise werden die PoE-fähigen Endgeräte einmal installiert und dann konstant betrieben. Bei Umkonfigurationen ist jedoch Vorsicht geboten, denn beim Herausziehen der RJ45-Stecker und Trennen der Gleichstromübertragung treten bisweilen Lichtbögen auf. Beim boomenden PoE+ mit einer Maximalleistung von 25,5 W bei einer Versorgungsspannung von 48 V= kann der Versorgungsstrom rund 300 mA pro Ader betragen.
Der Lichtbogen entsteht aufgrund der Spannungsdifferenz bei Trennung der Steckverbindung während Bruchteilen einer Sekunde. Zwischen den beiden getrennten Kontaktteilen (Stecker und Buchse) besteht ein elektrisches Feld mit derart grossen Kräften, dass sich Elektronen aus dem Kontaktmaterial herauslösen können. Das zwischen den beiden Kontaktteilen entstehende heisse Plasma löst Material aus Kontaktoberflächen heraus und verdampft es.
Zwar entstehen bei jedem Steckvorgang nur geringfügige Schädigungen an den Kontakten. Über mehrere Steckvorgänge hinweg entsteht jedoch ein schleichender Abbrand der Kontaktflächen. Spezielle Beschichtungen aus Edelmetall schützen diese zwar bis zu einem gewissen Grad. Vor dem Wechsel von Endgeräten sollte jedoch der jeweils speisende PoE-Switch oder -Injektor abgeschaltet und damit der Netzabschnitt stromlos geschaltet werden.
Ein spezifisches Kontaktdesign nach Norm IEC 60603-7 kann den Kontaktabbrand an Buchsen und Steckern jedoch minimieren. Seriöse Hersteller von Kabelkomponenten und Steckern führen diese im Programm.