Licht

Dieses Schulzimmer verfügt über eine zirkadiane Beleuchtung. Morgens ist das Licht am kältesten im Lauf des Schultags wird es immer wärmer. Bild: Glamox

15.05.2025
Manuela Talenta

Gesünder dank Beleuchtung?

Die Synchronisation unserer inneren Uhr hängt vom Licht ab.Mit der sogenannten zirkadianen Beleuchtung lässt sich diese gezieltunterstützen. Wissenschaftliche Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse.

Der Begriff «zirkadian» stammt aus dem Lateinischen. Er setzt sich aus den Worten «circa» für rund oder ungefähr und «diem» für Tag zusammen. Er bedeutet also so viel wie «ungefähr einen Tag». Deshalb versteht man unter zirkadianer Beleuchtung oder Human Centric Lighting (HCL) die Anpassung von künstlichem Licht an den natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus. Prof. Dr. Christian Cajochen ist Leiter der Integra­tive Human Circadian Daylight Platform (iHCDP) – siehe Kasten. Er sagt: «Zirkadiane Beleuchtung besteht aus einer helleren, kalt-weissen Beleuchtung tagsüber, die einen höheren Anteil an blauem Licht enthält. Abends wird auf eine wärmer-weisse Beleuchtung umgestellt, die das langwellige Licht betont, also oranges und rotes Licht.»

 

Im Einklang mit dem Arbeitsrhythmus

Ein Unternehmen, das sich auf HCL spezialisiert hat, ist Glamox in Kriens (LU), das hauptsächlich in Schulhäusern und Altersheimen in der Deutschschweiz zirkadiane Beleuchtungssysteme installiert. Marc Frei, Leiter Produkt- und Stammdatenmanagement, gibt einen Einblick in die praktische Anwendung und nimmt seinen mit HCL ausgestatteten Arbeitsplatz als Beispiel: «Am Vormittag ist das Licht kalt. Gegen Mittag wird es etwas wärmer, um eine Ruhepause anzudeuten. Nach einer Stunde kühlt es wieder ab, bevor es am Abend warm wird, um den baldigen Feierabend anzuzeigen.» Die Veränderung nimmt er nicht bewusst wahr – und doch spürt er die Wirkung. «In unserem Büro geht es lebendiger zu und her als an meinen früheren Arbeitsorten. Nach der Mittagspause merke ich zum Beispiel auch, dass das sogenannte Food-Koma weniger stark ausgeprägt ist.» An Sitzungen fühlt er sich ebenfalls wohler. «Ganztägige Meetings sind weniger anstrengend.» Und er schläft nachts besser.

 

Geringeres Risiko für Depressionen

In der Tat deutet die Forschung darauf hin, dass die richtige Lichtexposition, also die Menge und Art von Licht, der eine Person ausgesetzt ist, einen positiven Einfluss auf den Schlaf und das allgemeine Wohlbefinden hat. Dr. Mirjam Münch leitet bei der iHCDP das Modul Environmental Circadian Lighting (ECL). Sie sagt: «Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass eine optimierte Beleuchtung tagsüber und eine gedimmte, warm-weisse Beleuchtung am Abend die Zeit bis zum Einschlafen verkürzt und die Schlafdauer verlängert. Daneben wirkt sich eine solche Beleuchtung am Abend günstig auf die zeitliche Produktion und Freisetzung des Schlafhormons Melatonin aus.» Darüber hinaus beeinflusst die richtige Beleuchtung offenbar auch die psychische Gesundheit. Dr. Mirjam Münch: «Es gibt zunehmend wissenschaftliche Hinweise darauf, dass eine ausreichend hohe Lichtexposition langfristig das Risiko für Depressionen senkt, wie eine grosse Studie mit über 400 000 Teilnehmenden gezeigt hatte.» Als praktisches Beispiel nennt sie das Demenzzentrum Sonnweid in Wetzikon (ZH). Dort setzte man 2012 auf fast allen Stationen zirkadiane Beleuchtung ein, die danach in einer Studie validiert wurde. «Die Ergebnisse zeigten einerseits positive Effekte auf die Stimmung, die Wachheit und die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner, andererseits auch, dass zum Beispiel nach einer Grippeimpfung mehr Antikörper gebildet wurden, wenn die Bewohnerinnen und Bewohner eine höhere Lichtdosis hatten.»

 

Die geschickte Austarierung macht den Unterschied

Allerdings kam es nur dann zu diesen Ergebnissen, wenn die gesamte Lichtdosis pro Tag berücksichtigt wurde, also inklusive Tageslicht. Mirjam Münch: «Erst das Zusammenspiel von Lichtqualität und Lichtquantität bewirkt die zirkadianen Effekte bei einer Person.» Auch das Geschlecht, das Alter und der Chronotyp würden eine Rolle spielen, also die individuelle Neigung eines Menschen, zu bestimmten Tageszeiten am aktivsten, wachsten oder schläfrigsten zu sein. Dabei gibt es drei Hauptkategorien, die in der Enzyklopädie der Schlafmedizin von Springer beschrieben sind: Lerchen sind Frühaufsteher, Eulen sind Spättypen, und Menschen mit einem intermediären Chronotyp haben einen Schlaf-Wachzyklus, der zeitlich in der Mitte dieser beiden Bereiche liegt. Um dennoch so etwas wie einen Standard zu definieren, mit dem Lichtplanerinnen und Lichtplaner bei der Installation von HCL-Beleuchtungssystemen arbeiten können, formulierte eine Expertengruppe 2019 an einem Workshop in Manchester Empfehlungen, die für eine erwachsene Person ohne Schichtarbeit gültig sind. Gemäss diesen sollte die Lichtintensität tagsüber mindestens 250 Lux mEDI (Melanopic Equivalent Daylight iIluminance) betragen. Der mEDI misst die gewichtete Beleuchtungsstärke des Lichts, die für die speziellen Rezeptoren im Auge wichtig ist, welche den zirkadianen Rhythmus steuern. Diese Rezeptoren reagieren anders als die gewöhnlichen Sehzellen (Zapfen und Stäbchen), obwohl es Überlappungen in ihren Empfindlichkeitskurven gibt. Licht sollte gemäss Empfehlung zwei bis drei Stunden vor der Bettgehzeit maximal 10 Lux mEDI und nachts weniger als 1 Lux mEDI betragen. 

 

Nicht übertreiben!

Die HCL stellt zwar, wie der Name bereits sagt, den Menschen und sein Wohlbefinden ins Zentrum. Aber natürlich geht es auch um seine Produktivität. Mirjam Münch: «Verschiedene, aber nicht alle Studien zeigen: Die Leistungsfähigkeit kann tagsüber mit einer helleren elektrischen Beleuchtung, die höhere Anteile an kürzer-welligem Licht besitzt, verbessert werden.» Die Betonung liegt dabei auf «kann», denn die Studien zeigen auch: Eine zusätzliche Beleuchtung hat tagsüber, wenn das Wachheitslevel von Natur aus schon hoch ist, nicht unbedingt eine höhere Leistungsfähigkeit zur Folge. Marc Frei von Glamox stimmt dem zu. «HCL kann die Effizienz und die Konzentrationsfähigkeit tagsüber steigern, das stelle ich ja an mir selbst fest. Aber man darf einen Menschen auch nicht mit kaltem Licht bombardieren. Das wäre nicht gesundheitsfördernd.» Aus diesem Grund müssen Beleuchtungssysteme – auch zirkadiane – verschiedene Anforderungen erfüllen, wenn sie zum Beispiel an Arbeitsplätzen installiert werden. Die Mindestlichtstärke für Arbeitsräume wird im Arbeitsgesetz zwar nicht direkt festgelegt, jedoch gibt es spezifische Empfehlungen und Vorgaben in den entsprechenden Normen und Wegleitungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), in SIA-Normen sowie der ISO 8998, der internationalen Norm für die Beleuchtung von Arbeitsplätzen. Für allgemeine Büroarbeit und Bildschirmarbeitsplätze wird zum Beispiel eine Lichtstärke von mindestens 500 Lux horizontal empfohlen. Die maximale Lichtstärke in unmittelbarer Nähe des Bildschirms oder der Arbeitsfläche sollte 3000 bis 5000 Lux nicht überschreiten. Um diese Normen einzuhalten, programmiert man bei Glamox ein zirkadianes Beleuchtungssystem so, dass das Licht automatisch in der richtigen Stärke zur richtigen Zeit am richtigen Ort leuchtet. «Spätere Umprogrammierungen kann die Kundschaft nicht vornehmen», betont Marc Frei.

 

Der Natur ein Schnippchen schlagen

Die zirkadiane Beleuchtung steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Marc Frei von Glamox sagt: «Wer mit Licht arbeitet, kennt den Begriff HCL höchstwahrscheinlich. Aber nur wenige Unternehmen setzen das Prinzip auch um.» Ganz anders sieht es in den skandinavischen Ländern aus; zum Beispiel in Norwegen, wo das Mutterhaus von Glamox domiziliert ist. «Dort ist HCL das Normalste der Welt. Es gibt praktisch keine Schule und kein Alterszentrum ohne zirkadiane Beleuchtung.» Das leuchtet ein, wird in den nordischen Ländern Europas der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus beziehungsweise die innere Uhr der Menschen je nach Jahreszeit doch gehörig durcheinandergewirbelt. So sind im Winter die Tage oft für mehrere Wochen ganz dunkel, während im Sommer die Sonne noch um Mitternacht scheint, wodurch es rund um die Uhr hell ist. ?


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