Benedikt Vogel
Von Strombezüge und Lastspitzen
Betreiber von Stromverteilnetzen sind daran interessiert, Lastspitzen zu vermeiden. Ein Pilot- und Demonstrationsprojekt der Hochschule Luzern zeigt einen Weg, wie sich im Netz Verbraucher wie Boiler, Wärmepumpen und Lade-stationen automatisiert aufspüren und für ein Lastmanagement nutzen lassen.
Vilters-Wangs ist eine kleine Gemeinde im Sarganserland. Die «Technischen Betriebe» versorgen dort 2880 Messpunkte (Haushalte, Gewerbe und Industrie) mit Strom und weiteren Infrastrukturdienstleistungen. Übers Jahr decken sie etwa zwei Drittel des Strombedarfs aus drei eigenen Wasserkraftwerken ab, der Rest wird an der Strommarktbörse fremdbeschafft und von 223 lokalen Photovoltaikanlagen (Peak-Leistung 4600 kW) zugekauft. Das Stromnetz in Vilters-Wangs ist klein, aber auf neustem Stand: Alle Haushalte verfügen seit drei Jahren über moderne Strommessgeräte. Diese Smart Meter erfassen den Verbrauch im 15-Minuten-Takt und übermitteln ihn per Funk oder Glasfaserleitung an den Energieversorger. Dieser erstellt auf Grundlage der Daten die Stromrechnung.
Elektrogeräte flexibel betreiben
Von Frühjahr 2022 bis Ende 2023 war Vilters-Wangs Schauplatz eines Feldversuchs. Das Ziel bestand darin, im lokalen Stromnetz Lastspitzen zu reduzieren, also den maximalen monatlichen Leistungsbezug aus dem übergeordneten Netz der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) möglichst gering zu halten. Lastspitzen treten in der Regel in den Morgenstunden oder am frühen Abend auf. Wie andere Stromversorger sind die Technischen Betriebe Vilters-Wangs aus finanziellen und betrieblichen Gründen daran interessiert, Lastspitzen so tief wie möglich zu halten (vgl. Kasten 1).
Um das zu erreichen, nutzen die Technischen Betriebe seit Längerem zwei Wege: Zum einen betreiben sie ihre Wasserkraftwerke möglichst in Zeiten, in denen die eigenen Kunden viel Strom brauchen. Zum anderen versuchen sie, elektrische Verbraucher im Netz so zu steuern, dass Zeiten mit hohem Gesamtverbrauch möglichst vermieden werden. Zu dem Zweck werden Elektroboiler oder Wärmepumpen mithilfe von Rundsteuerungen so geregelt, dass sie dann laufen, wenn die Stromnachfrage gering und der Strom tendenziell günstig ist.
Auswertung von Smart-Meter-Daten
Der oben erwähnte Feldversuch beschritt beim Lastmanagement – also die Verlagerung von elektrischen Verbräuchen in verbrauchsarme Zeiten – einen neuen Weg: Smart Meter wurden dafür genutzt, um automatisiert festzustellen, in welchen Haushalten überhaupt Boiler, Wärmepumpen und Ladestationen vorhanden sind, die für Lastmanagement genutzt werden können. Ein Stromversorger weiss nämlich nicht zwangsläufig Bescheid, welche seiner Kunden solche Geräte im Einsatz haben.
Smart Meter können den Stromverbrauch im 15-Minuten-Takt erfassen. Die Aneinanderreihung der Messwerte ergibt eine Lastkurve, die den Gesamtverbrauch des Haushalts darstellt. Ein von der Hochschule Luzern entwickelter Algorithmus macht es nun möglich, aus einer Lastkurve abzuleiten, welche Elektrogeräte in dem besagten Haushalt genutzt werden und wie hoch der Verbrauch jedes Elektrogeräts ist. Technische Grundlage bildet die NILM-Technologie (vgl. Kasten 2). Dank dieser Methode wurden im Stromnetz von Vilters-Wangs 346 Wärmepumpen, 244 Warmwasser-Boiler und 43 Ladestationen für E-Autos erkannt, ebenso ihre Einschaltzeiten und den Leistungsbezug.
Grosses Potential für Lastverschiebung
Projektleiter Guido Kniesel (Hochschule Luzern – Technik & Architektur) zieht ein positives Fazit: «Unser Algorithmus erkennt Wa?rmepumpen, Boiler, E-Ladestationen, Batterien und auch Photovoltaikanlagen mit hoher Zuverlässigkeit. Nur bei rund 3 % der Ein- und Mehrfamilienhäuser erwies sich die Zuordnung von Wärmepumpen als falsch.» Flexible, also zeitlich verschiebbare Lasten, sind im Stromnetz von Vilters-Wangs übrigens reichlich vorhanden: Das Stromnetz bezieht in Spitzenzeiten eine Leistung von gut 5000 kW. Dem stehen flexible Verbraucher und Produzenten im Umfang von 11 000 kW gegenüber, wie die HSLU-Forschenden herausfanden. Das Potential für Lastmanagement ist also beträchtlich.
Die Smart-Meter-Daten erlauben nicht nur die Erkennung grosser Elektrogeräte und ihrer Lastkurve. Mit ihnen lässt sich auch eine Verbrauchsprognose für die nächsten 24 Stunden erstellen. Dafür werden die Verbrauchswerte der letzten sieben Tage herangezogen. «Die implementierten Vorhersagemethoden erzielten ausreichend hohe Genauigkeiten, um sinnvoll für die Lastverschiebung eingesetzt werden zu können», sagt HSLU-Wissenschaftler Andreas Melillo.
Lastspitze deutlich reduziert
Kennt man die elektrischen Verbraucher, die für Lastmanagement zur Verfügung stehen, und weiss man, welche Verbräuche in den kommenden Stunden zu erwarten sind, können diese Informationen anschliessend für ein gezieltes Lastmanagement genutzt werden. Dabei werden die Lasten zeitlich so gestaffelt, dass die tägliche und in der Folge auch die monatliche Lastspitze möglichst tief ausfällt. Hierfür wurde im Feldtest ein Cloud-Energie-Managementsystem («Smart Energy System») der ASGAL Informatik GmbH (Walenstadt) eingesetzt. «In ausgewählten Wintermonaten konnten wir dank Lastmanagement die Lastspitze von 5300 auf 3900 kW reduzieren», sagt ASGAL-Geschäftsführer Thomas Gall. «Das gelang insbesondere durch eine gezieltere und effizientere Gruppierung flexibel ansteuerbarer Boiler und Wärmepumpen sowie durch die gestaffelte Abschaltung von privaten E-Ladestationen in den verbrauchsstarken Abendstunden zwischen 17 und 21 Uhr.»
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Reduktion der Lastspitzen um 1400 kW nicht nur auf die Lastverschiebung bei Boilern, Wärmepumpen und Ladestationen zurückzuführen ist, sondern auch auf den flexiblen Betrieb der Wasserkraftwerke. In Wintermonaten können Wasserkraftwerke allerdings nur einen relativ geringen Beitrag zur Reduktion der Lastspitzen leisten, weil dann nur wenig Wasser vorhanden ist. Umso wichtiger ist es, in dieser Zeit flexible Lasten für die Reduktion von Lastspitzen nutzen zu können.
Individuelle Vereinbarungen
Die Steuerung von Boilern und Wärmepumpen erfolgte im Feldversuch über die Rundsteuerung. Bei Ladestationen ist das heute in der Regel noch nicht möglich. Daher wurden mit den Eigentümern individuelle Vereinbarungen getroffen, in denen sich diese verpflichteten, die Ladestationen nach Möglichkeit ausserhalb der morgendlichen und abendlichen Spitzenlastzeiten zu nutzen. Nicht einbezogen wurden im Feldversuch die Batterien der E-Autos. Grund: Die meisten Ladestationen (und auch diverse E-Autos) sind noch nicht für bidirektionales Laden ausgerüstet.
Christian Schwarzenbach, Leiter der Technischen Betriebe Vilters-Wangs, wertet das P+D-Projekt positiv: «Dank der neuen Erkenntnisse können wir das Lastmanagement umfangreicher und detaillierter durchführen und dadurch die Netzkosten für den Strombezug aus dem SAK-Netz weiter senken.» Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass künftig auch die Ladestationen in die Laststeuerung einbezogen werden. Dafür müssen die Werkvorschriften, also die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Stromversorger und Endkunden, so angepasst werden, dass auch Ladestationen durch die Technischen Betriebe gesteuert werden können. «Unsere Idee geht dahin, die maximale Ladeleistung in verbrauchsstarken Zeiten entweder zu drosseln oder die Ladestation vorübergehend zu sperren. Um dies tun zu können, sind wir bereit, den Kunden einen finanziellen Bonus zu gewähren, wie wir das heute schon bei Kunden tun, deren Boiler und Wärmepumpen wir für die Laststeuerung nutzen», sagt Thomas Bachofner, Kaufmännischer Leiter der Technischen Betriebe Vilters-Wangs. Rechtlich gesehen gehören Flexibilitäten den Kunden. Netzbetreiber müssen den Zugriff darauf angemessen vergüten.
Ladestationen und PV-Anlagen einbeziehen
Neben den Technischen Betrieben Vilters-Wangs, den CKW, der Zuger WWZ sowie IBC Energie Wasser Chur und Energie Service Biel/Bienne war auch die EWA-energieUri mit Hauptsitz in Altdorf am P+D-Projekt beteiligt. Der Energiedienstleister stellte Smart-Meter-Daten aus drei Urner Gemeinden zur Verfügung, mit denen die Hochschule Luzern ihren Algorithmus trainieren konnte. «Die automatisierte Erkennung von flexiblen Lasten in den Haushalten erspart uns viel Knochenarbeit», sagt Adrian Arnold, Leiter SmartGrid bei EWA-energieUri. «Wir werden die Erkenntnisse aus dem Projekt nutzen, sobald der Smart-Meter-Rollout in unserem Netz abgeschlossen ist. Wir erhoffen uns davon eine Optimierung beim Lastmanagement von Boilern und Wärmepumpen.» Um künftig auch Ladestationen und PV-Anlagen ins Lastmanagement einbeziehen zu können, soll die Schmalband-Power-Line-Communication (PLC), die heute die Smart-Meter-Daten überträgt und für die klassische Rundsteuerung genutzt wird, zu einem leistungsfähigen bidirektionalen System ausgebaut werden.
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